Bilanz der art week
Ende September 2013

Bilanz der art week

Eine Zugfahrt: Endlich mal ein paar Stunden im Stück Ruhe, d.h. Revue passieren lassen und lesen können. Die art week liegt eine Woche zurück. Wie immer ein riesiges Angebot, jeder der etwas mit Kunst zu tun hat, versucht, sich zu präsentieren. Ich fühle mich überfordert wie bei einem Handykauf, so viele Modelle, Varianten und Möglichkeiten. Mit der Kunst kenne ich mich natürlich besser aus als mit den Handys und doch eine Ohnmacht: Hat man das Wichtige, das Richtige gesehen, der latente Druck, etwas verpasst zu haben, was man doch hätte eigentlich und überhaupt…

Beim Handykauf kenne ich meine Kriterien, einfach und schlicht in der Bedienung, ich will nicht damit Kaffeekochen oder spielen, einfach nur telefonieren. Und in der Kunst ? Auch hier brauche ich nicht den letzten Hype, alle Möglichkeiten auf einmal und das überstylte. Die Kunst soll mich an der Wurzel packen ohne chichi, ohne Champagner und blingbling. Immerhin in der Auguststraße gibt es beim Eröffnungsfest in erster Linie Bier und Bratwurst, die Schwaden überkommen einen schon, wenn man von der Kleinen Hamburger Straße einbiegt. Später lese ich in DER ZEIT bei Hanno Rauterberg in seinem Artikel „In der Erfolgsfalle“ : „Künstler, lasst euch nicht mit Bratwürsten abspeisen! Denn Kunst beginnt ja erst da, wo die befriedete Gegenwart endet “ (1) Diese Sätze sollte man erweitern auf Sammler, Kuratoren, Kunstinteressierte. Unglaubliche Menschenmassen schieben sich durch die Straße und die geöffneten Galerien und Institutionen. Ich ergreife nach kurzer Zeit die Flucht, abgesehen davon, dass man ab 20.00 Uhr eigentlich nirgendwo mehr hereinkommt, ist das keine Atmosphäre, um sich Kunst anzuschauen. Ob man so wohl Networking macht, nah genug ist man sich ja, vielleicht denjenigen, der neben einem steht kurz aus Versehen mit dem Senf der Bratwurst streifen und schon ist man im Gespräch.

„Painting Forever“ ist das Motto der artweek und das, wo Richter gerade im Oktober ART Heft erklärt, dass die Riesenkultur der Malerei weg sei und man mit deren Verlust klar kommen müsse. (2) Irgendwie alles verwirrend, aber es ist eben wie mit den Handys: Alles ist möglich auch in der Kunst, wohin orinetiert man sich selbst, zu welchem Subgrüppchen der Kunstszene fühlt man sich zugehörig. „To paint is to love again“ ist der von Henry Miller entlehnte Titel der Ausstellung in der Kunsthalle der Deutschen Bank. Das ist doch ein Statement, Leidenschaft, Liebe als Antriebsfeder für die Malerei. Da sehe und höre ich schon das Naserümpfen der sterilen Fraktion, dass das doch heute kein Kriterium für die Kunst sei.

Da hilft nur eins: Henry Miller lesen, z.B. „Stille Tage in Clichy“. Neben den heftig zur Sache gehenden Sexszenen findet sich folgender Satz: „Für einen Künstler sind die schlimmen Erfahrungen ebenso fruchtbar wie die guten, manchmal sogar noch fruchtbarer.“ (3) So, Miller sei Dank, ich hab‘ die Orientierung wieder und schaue mir einfach nur Ausstellungen und Kunstwerke an, die mich berühren, weil Spannungen und/oder Utopien sich entfalten. Dazu gehören keine nachgestellten Märchenmotive, die mit teuren Kostümen und Accessoires nachgestellt werden wie in der Modefotografie und aufgeblasen auf viele Meter Fotopapier nur unsere Konsumwelt verherrlichen. cb

1. ZEIT N°40, 26.9.2013, S. 65 , 2. ART Oktober 2013, „Etwas Besseres als das Malen“, Text Ralf Schlüter, S.39/40, 3. Henry Miller, Stille Tage in Clichy, Lizenzausgabe Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a.M. 2001, S.63