Erweiterung des Territoriums
Oktober 2017
Erweiterung des Territoriums
Bestandteil des Selbstverwirklichungsprogramms von Hipster & Co in Berlin-Mitte ist, dass man neuerdings nicht mehr in ein Restaurant, eine Bar geht, um sich dort niederzulassen, sondern das Gebiet um das Lokal herum absteckt. D.h. man lungert mit Gläsern und Flaschen bewaffnet auf dem Trottoir herum oder tänzelt mit den langstieligen polierten Weinkelchen auf die andere Straßenseite, wohl darauf achtend, dass kein Staubkörnchen an die neuen weißen Turnschuhe kommt. Alles ganz locker im Hüftgelenk, wo der Hosenbund bei optimal durchtrainierter Figur knackig anliegt und ein frisch gebügeltes Hemd aus der Reinigung freigibt. Frisur und Bart sind so akkurat geschnitten, dass wohl wöchentlich ein Friseurbesuch, sorry, ein appointment beim Hairstylisten, der Haircompany oder im Barbershop absolviert werden muss. Die Leichtfüssigen treibt es mitunter zum Parkplatz ihres neuesten SUVs. Über der silbernen Motorhaube mit dem alles entscheidenden Emblem, das für Insider gleich den Preis mit transportiert, schwenken sie ihre Weinkelche noch einmal besonders salbungsvoll. Was für eine Driving Performance.
Mir schießen plötzlich Worte meiner Oma durch den Kopf: Mit denen könnte man keinen Krieg gewinnen. Nicht dass meine Oma etwa im Krieg auf der falschen Seite gestanden hätte, ganz im Gegenteil, sie hat ihren Mann dort hingeben müssen. Sie war eine von denen, die allein mit zwei Kindern wieder aufbauen musste. Ich stelle mir die beiden Weicheier vor, wie sie Steine schleppen und über das Headset gleich einen Maniküretermin buchen. Hoffentlich bröckelt von den Steinen nichts ab und beschädigt den Lack.
Christiane Bühling