Alles Amrhein oder was?
Mai 2014
Alles Amrhein oder was ?
Welch ein Privileg für Galeristen und Kuratoren, sich vor und während einer Ausstellung intensiv mit der jeweiligen Kunst und auch der Künstlerpersönlichkeit beschäftigen zu können. So habe ich das Gefühl, dass sich bei mir während der Ausstellungsperiode jeweils ein bestimmter Filter einstellt, unter dem ich dann durch die Welt gehe.
Am Mittag vor der abendlichen Eröffnung der Ausstellung „Offene Systeme“ in der Galerie Angelika Harthan in Stuttgart, in der u. a. Arbeiten von Angelika Arendt gezeigt werden, mache ich noch einen Frühlingsspaziergang.
Ich gehe durch ein Tal mit blühenden Wiesen, wenn ich jetzt auf nur ein kleines Fleckchen Grün schaue, sehe ich unzählige Strukturen, Flächen, Linien, Konturen, Rundes, Rechteckiges, Quadratisches, Ausgefranstes, Ovales, Spitzes. Als ich mich für einen Moment auf eine Bank lege und durch die Äste der Bäume nach oben in den Himmel blicke, geht es mir ebenso, ich sehe nicht mehr wirklich die Äste und die Wolken, sondern ein vielschichtiges Formenspiel. Ihre Inspirationsquelle sehe ich nun mit ganz anderen Augen.
Während der Ausstellung „Suddenly everywhere was the same place“ von Andreas Amrhein, die wir gerade eröffnet haben, gehe ich mit dem Klischee-Filter durch die Stadt und durch die Medien. In Mitte entdecke ich ein Lokal mit der Aufschrift „Kebap, Pizza, China Food“. Das ist nicht etwa ein Imbiss mit einem billigen Aufsteller, sondern es sind weinrote Markisen mit weißer Schrift wie bei einem Edelitaliener, auf denen sich diese globale Speisekarte befindet.
Bei seinen Arbeiten der Hybriden setzt er zwei real existierende Porzellanfiguren zusammen , z. B. in der Papierarbeit „Lady Hybrid“. Ein Rehkopf wird mit dem Körper und damit mit dem Outfit einer Adligen des 19. Jahrhunderts gemixt, das üppige roasfarbene Kleid mit Hermelinmuff und Stola lässt an Prunk und Pracht denken. Im wirklichen Leben versuchen wir doch mittlerweile auch uns mehr und mehr neu zusammen zu basteln, die Asiatinnen, die sich die Wangenknochen operieren oder die Beine verlängern lassen, damit sie europäischer aussehen. Wie wäre es, wenn wir die langen schönen Beine eines kenianischen Models hätten und den Schopf einer Schwedenschönheit damit kombinieren könnten, dann wären wir wirklich globalisiert und Andreas Amrhein würde sich ins Fäustchen lachen können. Oder denken wir an die gerade durch alle Medien geisternde Conchita Wurst, die sich größter Popularität erfreut.
Wer es etwas seriöser braucht, kann auch den Reiseteil der ZEIT N°21 vom 15. Mai 2014 (S. 59) studieren, „Alpenglühen über den Dünen“. Den Artikel von Silke Burmester lese ich einen Tag vor unserer Vernissage, und ich lese ihn ganz sicher mit besagtem Filter. Vielleicht hätte ich ihn Wochen zuvor gar nicht gelesen. Die Autorin schildert perplex, wie sich die alpine Folklore mehr und mehr auf der Insel Sylt breit macht. Sie beschreibt die Louis Trenker Boutiquen, die sich dort ansiedeln und sehr erfolgreich ihre Janker verkaufen. Der Verkäufer berichtet, dass die Kundschaft aus „Kosmopoliten“ bestehen würde. In den Tiroler Stuben wird im Dirndl serviert. Wir fahren nicht mehr an die See oder in die Berge, wir können beides in einem erleben. Ob es in Tirol jetzt auch Fischbrötchen gibt, frage ich mich? Eigentlich müsste man Gosch jetzt sofort empfehlen, eine Filiale auf dem Großglöckner zu eröffnen. Und die Weißwurst schmeckt doch im Strandkorb mit guter Seeluft genauso gut. Das Edelweiß hat Andreas Amrhein schon vor vielen Jahren gemalt, und wenn jetzt in einem seiner Bilder das Kandiszuckerstäbchen und das Emblem vom Erdinger Weißbier mit einem chinese toy gemixt werden, müssen wir uns wirklich nicht wundern. Alles Amrhein oder was?