El siglo del oro im düsteren Gewand
August 2016
El siglo de oro im düsteren Gewand
Mit Velasquez lockt die Gemäldegalerie in eine einmalige Ausstellung ins Kulturforum. Seine wunderbare Malerei habe ich aus dem Prado im Kopf, besonders Isabella von Frankreich zu Pferd. Ihr Gewand, das lang und weit wie ein Teppich über das Pferd fällt und die Pferdecke, auf der sie sitzt, sind zum Greifen nah, unglaublich meisterhaft ist die malerische Umsetzung der Faltenwürfe und der opulenten Ornamentik.
Nun sind die großen Spanier in Berlin und ich betrete erwartungsvoll die gut besuchte Ausstellung: Nach El Greco sehe ich als eines der ersten Bilder die „Dreifaltigkeit“ von Luis Tristán. Gott greift seinem leidenden Sohn mit den Stigmata des Kreuzes von hinten unter die Arme, hält ihn so fest, und ich frage mich wie Navid Kermani diese unendliche Schmerzensmiene beschrieben hätte, wenn dieses Bild Einzug in sein Buch „Ungläubiges Staunen“ gehalten hätte.
Die unglaublich dreckigen Fußnägel des Paulus in einem Gemälde von Franciso Ribalta gefallen mir schon wesentlich besser, besonders im Kontrast zu dem roten Tuch, das er über sein Gewand geworfen hat. Hier kommt einer aus dem Leben. Fast alle anderen Besucher gehen mit dem Audioguide durch die Ausstellung, ob der auch auf die schwarzen Fußnägel hinweist, frage ich mich. Der von Jusepe de Ribera porträtierte Mann blickt mit einem unglaublich verzweifelten, misstrauischen und traurigen Blick zur Seite, als siglo del oro kann er seine Lebenszeit nicht empfunden haben. Auch Riberas Madonna mit dem Kind und dem Heiligen Bruno sehen alles andere als lebensfroh aus, Bruno schaut so verbiestert und bedrohlich von unten nach oben zu Maria auf, dass es mir eiskalt den Rücken herunterläuft. Führt der wirklich nur Gutes im Schilde? Auch der Gottesmutter scheint ihre Lieblichkeit abhandengekommen zu sein, schaut sie doch ebenfalls äußerst kritisch drein. Sie hält nicht nur ihr Kind auf dem Arm, sondern aus den Wolken unter und über ihr wachsen weitere Kinderköpfe hervor wie in einem Gruselfilm. Empathie füreinander ist hier nirgendwo zu spüren, obwohl das doch ein Wesenskern der Heiligen sein müsste, oder? Irgendetwas muss ich hier falsch verstehen, wahrscheinlich hätte ich mir auch einen Audioguide aufsetzen müssen, damit ich mich nicht so von meinen eigenen Eindrücken treiben lasse, die wahrscheinlich mit der Kunstgeschichte nicht allzu viel zu tun haben.
Dann endlich ein helles Bild, in dem das Weiße dominiert: Francisco Pacheco „Die Landung der von Petrus Nolascus befreiten Christen“, alle tragen sie hier weiße Gewänder, es ist wie ein Aufatmen, eine Befreiung nicht nur aus der Gefangenschaft, sondern ebenso aus der Düsternis der Farben. Doch gleich folgen die Skulpturen des Ignatius von Loyala, der sein Kreuz in der Hand den Arm nach vorne streckend so festhält, als wolle er einen damit bedrohen oder lieber gleich erschlagen. Ich gehe lieber in Deckung bzw. weiter, verharren möchte ich davor nicht. Ein paar Schritte weiter dann Zurbarán, auch so ein meisterlicher Maler, wie z.B. die Konturen der dunkelbraunen Kutte des Heiligen Franziskus in den dunklen Hintergrund übergehen, ist grandios. Nur was für ein düsterer Zeitgenosse ist das, die Hände in den Armen der Kutte vergraben, kann man sich nicht vorstellen, dass er der Verfasser des Sonnengesangs ist. Das bekannte Bild, wie Franziskus in freier Natur die Vögel füttert, schiebt sich in meinen Gedanken vor dieses dunkle furchteinflößende Gemälde. Der Tonus dieser Bilder scheint Zeugnis davon zu geben, dass die politischen und gesellschaftlichen Zustände dieser Zeit alles andere als golden waren. Wie steht es mit der Lebensfreude des so knackig gebauten Mars von Velasquez? Eigentlich äußerst erotisch dahindrapiert, ist doch jeglicher Tatendrang aus seinem Blick gewichen, in sich gekehrt und deprimiert wirkt er, ein bisschen wie in sich selbst gefangen, ein wunderbarer Körper, der weder Lust auf Krieg noch den Geschlechtsakt hat. Fast heiter wirken die Bücher in dem Bücherstilleben eines unbekannten Künstlers, Einiges vom Leben scheint sich hier eingeschrieben zu haben, die Seiten sind geknickt, die Ecken zerfleddert. Das Bild ist mir sympathisch. Auch das Stillleben mit Schachteln und Gefäßen von Juan van der Hamen y León macht mir wieder Mut. Zwei verschlossene Schachteln erscheinen im hellen Licht, was mag darin sein? Darauf steht ein Glas mit eingelegten Früchten o.ä., ein Silberlöffel dazu. Es scheint mir das erste Bild in der Ausstellung zu sein, das Lebensfreude erlaubt und andeutet. Und dann entdecke ich das kleine Bild der nackten Fortuna von Rubens, die ihren weißen Schleier durch die Luft wirft. Ich denke, die muss aber tüchtig wirbeln, um sich das Finstere um sie herum vom Leibe zu halten.
Jedoch wenige Schritte weiter, wird der Hoffnungsstrahl zerschmettert und der Gipfel der Brutalität tut sich auf: Pedro Núnez del Valle „Jael und Sisera“. Ein Mann liegt am Boden, versucht sich zu wehren, doch er kann dem Messer, das ihm eine Frau an die Schläfe gesetzt hat und auf dessen Knauf sie mit einem Hammer eindrischt, nicht entkommen. Später lese ich nach, dass es sich um einen Zeltpflock handelt, den Jael dem Feind Israels, Sisera, in die Schläfe rammt. Die großen Skulpturen „Der Gang zum Kalvarienberg“ von Gregório Fernandez lassen mir das dumpfe dunkle Trommeln bei den Karfreitagsprozessionen in Sevilla aus der Erinnerung in den Ohren klingen, das einem Schauer über den Rücken treibt, wenn man in den Straßen Sevillas steht bei diesem Spektakel. Sie kündigen von bedrohlichen Zeiten.
Das gemalte Schweißtuch der Heiligen Veronika von Zurbarán im selben Raum erscheint wie eine moderne abstrakte Arbeit und wird so ein wohltuender Abschluss.
Ich glaube, ich bin wirklich Kermani-infiziert durch die Ausstellung gegangen und wünschte mir, ich könnte ein zweites Mal mit ihm persönlich hindurchgehen und „ungläubig staunen“. Dann wäre nicht alles so düster und bedrohlich.
Christiane Bühling