Unheimliche Begegnung mit Streifenbildern
November 2015
Unheimliche Begegnung des Wahnsinns mit Streifenbildern
Beim Durchblättern meines Notizbuchs aus diesem Jahr stoße ich auf enorme Kontraste: Aufzeichnungen über ein Konzert mit Schumann-Liedern, zu Zeichnungen Botticellis der Hölle nach Dantes Göttlicher Komödie und die über ein Gespräch mit Anselm Reyle prallen aufeinander.
„Doch du drängst mich selbst von hinnen, Bittre Worte spricht dein Mund, Wahnsinn wühlt in meinen Sinnen und mein Herz ist krank und wund“ wird aus Heines „Schöne Wiege meiner Leiden“ gesungen.
Wie oft hört man heute, dass Beziehungen per SMS beendet werden mit den Worten „Ich wünsch Dir alles Gute“, dabei hat man dann schon den oder die Nächste angetindert. Zeit für Schmerz bleibt da gar nicht, Tränen fließen nicht, sondern die nächsten Nachrichten in die Partnerbörsenkanäle. Lösch-Tasten bei den Internetforen können so schnell gedrückt werden, dass Heine gar nicht zum Dichten kommen würde geschweige denn zum Leiden.
Er ist von der „Intuition zur Kalkulation“ gegangen sagt Anselm Reyle in dem Gespräch mit Dirk Luckow bei CFA, er will nicht die Eindrücke von innen nehmen, sondern von außen, so z.B. Boesners Farbpalette. Ich frage mich nur, ist da innen nichts zu finden, gibt es da vielleicht gar nichts, fehlt die Courage nachzuschauen, ob sich da nicht doch interessante Sedimente abgesetzt haben oder will er sich das alles bewusst vom Leib halten? „Ich hatte das Gefühl, es gibt nichts zu sagen“, ob er wohl auch so ein Lösch-Tasten-Heini ist, frage ich mich. Aber das ist ja für heutige Zeiten auch eine verquere Vorstellung, dass Künstler und die von ihnen erzeugte Kunst etwas miteinander zu tun haben. Autorschaft, Authentizität alles Schnee von gestern. Wahnsinn wühlt da also keiner, er scheint nicht einmal im Ansatz unter den Streifen hervorzuschimmern. Er ist einfach weg, abhandengekommen, Inhaltsleere lehrt er als Professor an der Kunstakademie. Bitterstoffe auf meiner Zunge.
Zur Ehrenrettung Schumanns möchte ich am liebsten des Nachts in die Galerie eindringen und ab und zu ein kleines Seelenflammenbündel, ein Teufelshörnchen, einen Pferdefuß, Engelsflügelchen oder eine Linie des Läuterungsberges aus Botticellis Zeichnungen zur Göttlichen Komödie auf den glatten Streifen aussetzen. Vielleicht könnten sie am nächsten Morgen ihre Stimmen erheben, weinen, lachen, jammern, jauchzen oder schweigend glühen.