Ein Abend in der Ibn Rushd-Goethe Moschee
Dezember 2022
Schon lange wollte ich die Ibn Rushd – Goethe Moschee zu einem Freitagsgebet besuchen, verfolgte den Newsletter seit circa zwei Jahren. Als ich die Ankündigung zum Derwisch-Abend las, dachte ich jetzt oder nie, fragte eine Bekannte mit der ich kürzlich über Seyran Ateş und über die Moschee gesprochen hatte, ob sie mitkommen möchte.
So standen wir dann an diesem Abend gespannt in der Dunkelheit bei feuchter Kälte vor der Haunummer 16 und suchten einen Hinweis, nur die Koreanische Gemeinde war mit einem Pfeil angezeigt. Die Vermutung, dass aus Sicherheitsgründen kein Schild der Moschee angebracht wurde, bestätigte sich auf Nachfrage. Wir fanden den Zutritt beherzt über den finsteren Hof. Der Raum war schon gut gefüllt, ein großes Buffet war aufgetischt, offenbar hatten viele Menschen Unterschiedliches mitgebracht. Das durcheinandergewürfelte Geschirr erinnerte mich an große Feiern in der Jugend, bei denen man beschloss, jeder solle etwas beisteuern. Zu den meist türkischen Köstlichkeiten gesellten sich zwei große deutsche Torten und Spekulatius. Schon der gedeckte Tisch war offenbar eine Begegnungsstätte, auf dem sich wunderbar alles zu einem vielfältigen Ganzen zusammenfügte. Dieser erste Eindruck zog sich durch den ganzen Abend.
Als nach dem ersten Teil der Derwischtänze der Schwulenchor RosaCavaliere auftrat, wusste ich erst recht, dass hier Diversität ganz selbstverständlich gelebt wurde. Ein Chorsänger lüftete das Geheimnis über die auffälligen Toren vom Buffet, er outete sich mit seinem Betrieb „Kuchenhimmel“. Wunderbar zu beobachten waren beim Chor wie bei den Derwischtänzern die Vielfalt und das Zusammenklingen der unterschiedlichen Temperamente und Körperhaltungen. Der lange Schlaksige, der mit seinem ganzen Körper beim Singen mitswingte, der Unprätentiöse, der Quatschmacher, der Zurückhaltende, der eher Steife, der Ernste, der Vergnügte. Alle in ihren rosa Hemden hatten Spaß am Miteinander, was sich sichtlich transportierte. Das war mir ebenso bei den Derwischtänzern aufgefallen, jeder hatte mit seinem einzigartigen Temperament seine eigene Tanzsprache gefunden: die Extrovertierte, die sich mit dem ganzen Oberkörper immer nochmal extra Schwung holte, als würde ihr das kontinuierliche Drehen des gesamten Körpers noch nicht genügen, die eher Introvertierte, die bei etwas gemäßigterem Tempo die Hände meist über Kreuz auf dem Oberkörper zusammenlegte, als hielte sie sich innig selbst umarmt, der Große etwas Untersetzte, der in einem sehr ruhigen Tempo die Arme ganz unterschiedlich einsetzte und die sehr tänzerische Frau, die von meditativer Haltung bis expressiver Ekstase ein ganz unterschiedliches Repertoire zum Ausdruck brachte. Die meisten hatten die Augen die ganze Zeit geschlossen, einer hatte die Augen geöffnet und schaute wie beim Yoga nach oben durch die Schädeldecke.
Überraschend war die Herkunft der drei Musiker, die sich am Ende vorstellten, eine Italienerin, ein Japaner, die beide in Berlin lebten, und ein Deutscher. Die drei beherrschten die türkische Musik und ihre Instrumente fabelhaft. Aber vielleicht ist diese Bemerkung genauso dumm wie die, wenn man die hervorragenden Deutschkenntnisse eines Türken lobt.
Zwischendrin wurde Poesie vorgetragen und eine kurdische Dragqueen in rosa Prinzessinnenkleid las von ihrem Handydisplay lyrische Texte.
Durch den Abend moderierte Seyran Ateş persönlich und herzerwärmend als wären wir alle auf einer großen Familienfeier, für die sie sich ein berührendes Programm hat einfallen lassen.Hier wird religiöse, geschlechtliche, soziale, kulturelle und menschliche Diversität unkompliziert, ehrlich und mit weitem Herzen einfach gelebt. Ich ging beseelt nach Hause. Solange es solche Orte gibt, die von all diesen Leuten mit Leben erfüllt werden, gibt es Hoffnung für die Menschheit, die ja gerade in der letzten Zeit vermehrt ihren Verstand verloren zu haben scheint.
Christiane Bühling